Interview : Wolf Thieme
Warum bist Du in die SPD eingetreten?
Sonja: Von klein auf bin ich ein politischer Mensch. Ich will und wollte die Gesellschaft mitgestalten und sozial gerechter machen.
Das wollen andere Parteien auch.
Sonja: Mir liegen die Fragen der Chancengerechtigkeit und ungleicher Startchancen am meisten am Herzen. In der SPD stehen wir für gesellschaftlichen Zusammenhalt und versuchen, auf die Widersprüche, die es in unserer Gesellschaft gibt, eine Antwort zu finden und niemanden gegeneinander auszuspielen. Dieses zusammenzudenken sehe ich nur bei der SPD.
Was willst Du für die Bürger, die hier in Deinem Wahlkreis leben, erreichen?
Ich möchte das die Region in Fragen der digitalen Infrastruktur, der sozialen Infrastruktur, der Telekommunikationsinfrastruktur besser ausgestaltet wird. Der ländliche Raum muss genauso gut angeschlossen sein, wie die Stadt. Nur so kann jede und jeder die Freiheit haben, für sich zu entscheiden, wo sie oder er leben möchte. Es ist wunderschön hier. Wir leben dort, wo andere zur Erholung hinfahren. Ich will, dass ein Stolz auf diese Region entwickelt wird. Dass wir ihre Schönheit sehen.
…und sich die Menschen hier nicht mehr abgehängt fühlen…
Sonja: Eben. Es dürfen keine Schulen geschlossen werden, es muss noch mehr Kitas und Pflegemöglichkeiten geben und die kommunale Wirtschaft gestärkt werden. Dazu gehört es, auch die Ortskerne mit Leben zu füllen. Deshalb möchte ich viel vor Ort sein. Dafür ist eine Abgeordnete da. Die Menschen in Berlin vertreten kann ich nur, wenn ich viel hier bin.
Viele junge Menschen verlassen die Dörfer, die ländliche Region und gehen in die großen Städte.
Sonja: Ich glaube, wichtig ist zweierlei. Zum einen müssen die Ausbildungsmöglichkeiten vor Ort gefördert werden, beispielsweise in der Pflege, der Kindererziehung und in den Betrieben. Zum anderen ist es wichtig, dass die jungen Leute, die zum Studium oder zur Ausbildung in die Stadt gehen, wieder zurückkommen. Das schaffen wir aber nur durch attraktive Angebote – wie mit einer guten sozialen Infrastruktur, zum Beispiel mit eigener Kindertagesstätte, die es jungen Leuten möglich macht, ihre Kinder in die Kita zu geben, ohne weite Wege zu haben. Außerdem brauchen wir eine gute Netzabdeckung. Mit der neben einer höheren Lebensqualität auch bessere Homeoffice-Bedingungen gewährleistet werden.
Wie kann man den Menschen jetzt in der Pandemie helfen? Es fällt vieles weg, was vorher für den Zusammenhalt gesorgt hat – das Dorffest, die privaten Feiern, die Gaststätten.
Sonja: All das fällt auch mir schwer, und ich hoffe, dass es diesen Sommer wieder Möglichkeiten geben wird, sich – mit Abstand – zu treffen. Die Alternativen sind kein Ersatz, für persönlichen Kontakt aber dennoch wichtig. Der Zusammenhalt wird gestärkt, wenn Nachbarn, für ältere – noch nicht geimpfte – einkaufen gehen. Hausgemeinschaften rücken näher zusammen. Auch digitale Kommunikation, zum Beispiel „zoom“, bietet die Möglichkeit, aufeinander zuzugehen. Ein Problem ist, dass viele Ältere diese Möglichkeiten oft nicht gut beherrschen.
Sollte das Wahlalter herabgesetzt werden?
Sonja: Ja, in jedem Fall auf sechzehn. Vielleicht sogar in absehbarer Zeit auf vierzehn. Dies bräuchte aber einen längeren Vorlauf. Mit einer solchen Absenkung des Wahlalters muss in der Schule ein größerer Focus auf politische Bildung gesetzt werden. Im Unterricht muss mehr politisch diskutiert werden. Damit die Schüler früher verstehen, wie eine Wahl abläuft, wie die Demokratie funktioniert, wie man kritisch hinterfragt und vor allem, dass ihre Stimme wichtig ist. Es ist wichtig, die jungen Menschen zu erreichen und für die Demokratie zu begeistern. Wir können in diesem Land nur dann so leben, wie wir leben, wenn wir von unserem Wahlrecht Gebrauch machen. Die Statistiken zeigen, wer einmal wählt, wählt aller Voraussicht nach wieder. Jede und Jeder sollte wissen und spüren, dass sie oder er durch die Wahl etwas verändern kann. Es geht um ihre Zukunft!
Niemand ist gegen soziale Gerechtigkeit. Aber wie soll sie praktisch umgesetzt werden?
Sonja: Indem die Stärkeren den Schwächeren helfen, stärker zu werden. Es geht nicht um Chancengleichheit, sondern um Chancengerechtigkeit von klein auf bis ins hohe Alter. Zum einen liegt die Antwort in praktischen Dingen, wie barrierefreiem Zugang zu Bildungseinrichtungen und Sportveranstaltungen. Und zum anderen müssen wir in der Politik die Prioritäten setzen. Wir müssen in Bildung und Gesundheit investieren. Außerdem gilt es, dafür zu sorgen, dass auch im ländlichen Raum die Kultureinrichtungen – als Herz unserer Gemeinschaft – mehr gefördert werden.
Und wo sollen bessere Jugendrechte und bessere Bildungsmöglichkeiten verankert werden?
Sonja: Ich bin froh, dass Kinderrechte nun im Grundgesetz stehen. Ein wichtiger Schritt. Nun müssen Kinder- und Jugendparlamente weiter gefördert werden. Kinder und Jugendliche müssen die Möglichkeit haben, eigene Fähigkeit zu entdecken. Auch neben der Schule müssen ihre Kreativität, ihre Sportbegeisterung und ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten stärker gefördert werden. Wer merkt, dass er eine Stimme hat, fühlt sich nicht überhört. Natürlich kann das für eine Gesellschaft auch anstrengend sein, aber nur durch diesen Diskurs kommen wir voran.
Es geht auch um die ländliche Infrastruktur, zum Beispiel mehr Radwege. Aber Kommunen, Landkreis, Land klagen, sie hätten kein Geld.
Sonja: Da muss man eben noch mehr investieren. Ich bin froh, dass der Landtag gerade die Weichen für eine Verkehrswende stellt. Nun muss geliefert werden. Verkehrspolitisch wichtig zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch Projekt i2030.
Wie kann man die Leute motivieren, sich stärker zu engagieren?
Sonja: Indem die Politik zeigt, dass sie handlungsfähig ist und Probleme offen anspricht. Wir wollen gestalten, nicht nur verwalten. In Brandenburg sind wir, denke ich, auf dem richtigen Weg. Im Bund bremst die CDU viel aus. Deshalb brauchen wir dringend einen Wechsel im Kanzleramt. Vor Ort ist und bleibt es wichtig, direkt auf Menschen zuzugehen – auf jüngere auch digital. Ein tolles Beispiel sind die Bad Belziger Bahnhofsgespräche. Alle paar Wochen gibt es eine themengebundene Diskussion, oft mit hochrangigen Gästen, in Corona-Zeiten auch digital. Engagement ist heute oft themengebunden: Nehmen wir als Beispiel die Klimakrise und die Fridays-for-Future-Bewegung. Die Bewegung hat viel erreicht. Dies müssen wir als Schneeballeffekt noch stärker aufnehmen, müssen noch mehr über die Auswirkungen und Gefahren reden, aber auch über unsere Chancen, etwas zu verändern. Wir sehen die Dürrephase, die Hitze und die sommerlichen Waldbrände in Brandenburg. Wir müssen reagieren. Immerhin gibt es keine Plastiktüten und Plastikstrohhalme mehr. Aber es gibt viele weitere Möglichkeiten, tätig zu werden im Bereich von Co2- Ausstoß, Plastik, Tierhaltung und vor allem durch den Erwerb regionaler Produkte. Das ist nur ein Bereich, aber er zeigt auch: Jede und Jeder Einzelne kann aktiv werden kann. Wer selbst mitmacht, ist motiviert.
Lass uns noch über die Situation bei den Pflegekräften reden. Mehr noch als um die Bezahlung geht es um die Arbeitsbedingungen.
Sonja: Ja, bei der Bezahlung wurde in den letzten Jahren durch Tarifverträge viel getan. Schwieriger ist das in privaten Einrichtungen. Die Arbeitsbedingungen aber sind häufig sehr schwer – gerade in Corona-Zeiten, die langen Schichten, die physische und psychische Belastung. Pflegekräfte sind unsere Schutzengel! Sie leisten oft Übermenschliches und sind unverzichtbar. Aber es gibt zu wenige. Wir brauchen mehr Pflegekräfte, eine gute Ausbildung vor Ort und ein höheres Ansehen in der Gesellschaft für jene Menschen, auf die wir alle angewiesen sind.
Wir haben bis auf wenige Ausnahmen eine industriell betriebene Landwirtschaft. Müssen wir nicht mehr Menschen finden, die wissen wollen, was sie da essen und wie sich das ändern lässt? Das Bewusstsein der Leute ändern, das Verbraucherverhalten, wo es immer nur ums Sparen beim Essen geht.
Sonja: Absolut! Vielleicht sollte es gerade in den ländlichen Regionen ein Verzeichnis geben – für alle zugänglich am Marktplatz und im Internet, wo regionale Produkte angeboten werden. Viele wissen das bereits, aber es geht ja auch darum, weitere Personen zu erreichen und zu zeigen, dass es nicht teuer sein muss, regionale Produkte zu kaufen. Wir sind verwöhnt durch den schnellen Zugriff auf Fertigprodukte: die Pizza oder Nudeln mit Tomatensauce aus dem Supermarkt. Wenn wir die Kosten hochrechnen, sind sie aber oft nicht niedriger. Meine Oma hat am Wochenende einen Eintopf gemacht, davon hat sie unter der Woche jeden zweiten Tag gegessen und dazwischen was anderes. Für mich gab es neben dem Kompott zum Nachtisch nicht Leckereres. Es war eben selbst gemacht.
Foto Titelbild: Sonja Eichwede,